Geschichte der Rom*nja und Sinti*zze

Die Vorfahren der heute in Europa lebenden Rom*nja kamen ursprünglich aus dem heutigen Nordwestindien und Pakistan. Ihre Migration nach Westen begann vermutlich vor etwa tausend Jahren. Es gab verschiedene Routen wie beispielsweise die über den Nahen Osten und Nordafrika nach Spanien oder über die Türkei und Griechenland nach Südost- und später Westeuropa. Immer wieder ließen sich auch Gruppen dauerhaft oder zumindest für einige Generationen nieder.
Da die Rom*nja lange nur über eine mündliche Geschichtsschreibung verfügten, ist es in vielen Punkten kaum möglich, historisch gesicherte Informationen zu bekommen. Daher gibt es auch verschiedene Theorien zu den Migrationsbewegungen der verschiedenen Gruppen. Solche Theorien stützen sich in der Regel jedoch ausschließlich auf linguistische Untersuchungen: Fest steht inzwischen, dass das Romanes auf das indische Sanskrit zurückgeht und mit dem heutigen Hindi verwandt ist. Darüber hinaus finden sich im Romanes Lehnwörter etwa aus dem Griechischen und aus anderen europäischen Sprachen, anhand derer versucht wird, die Migration zu rekonstruieren.

Die indische Herkunft ist für europäische Rom*nja heute ein Identifikationspunkt, der die Verbundenheit mit Rom*nja weltweit begründet. Ansonsten ist sie jedoch im Alltag nicht relevant, da die einstigen Migranten inzwischen seit tausend Jahren in Europa beheimatet sind und somit übrigens länger als die Vorfahren etlicher Gruppen der europäischen Mehrheitsgesellschaften. Es sprechen auch nicht mehr alle Rom*nja Romanes, was auf Zwangsassimilierungsprogramme in unterschiedlichen historischen Epochen ebenso wie auf das Verstecken der Roma-Identität aus Angst vor Diskriminierung zurückzuführen ist.
Die historische Migration ist heute vor allem deshalb erwähnenswert, weil sie zu der enormen Heterogenität der europäischen Roma-Communities geführt hat. Es gibt muslimische Rom*nja etwa in Mazedonien, orthodoxe in Serbien, natürlich die deutschen Sinti, die seit 600 Jahren im deutschsprachigen Raum leben und römisch-katholisch oder protestantisch sind, es gibt außerdem Gruppen wie die kosovarischen Aschkali und Ägypter, deren Zugehörigkeit teils noch umstritten ist. In Rumänien waren Rom*nja bis ins 19. Jahrhundert tatsächlich versklavt; die Abschaffung der Sklaverei führte zu einer Migration rumänischer Rom*nja nach Westeuropa. Es ist vor allem deshalb wichtig, sich diese Vielfalt bewusst zu machen, weil in den Diskursen der Mehrheitsgesellschaft immer noch die Vorstellung von einer „Roma-Kultur“ verbreitet ist – von einer einheitlichen Kultur kann aber angesichts von heute zehn bis zwölf Millionen Rom*nja in ganz Europa und angesichts solcher sehr länderspezifischer Erfahrungen der einzelnen Gruppen nicht gesprochen werden.
In Deutschland leben heute neben den deutschen Sinti und den Rom*nja, die bereits im 19. Jahrhundert einwanderten, verschiedene Gruppen von osteuropäischen Rom*nja: jene sogenannten Gastarbeiter, die in den 1960er Jahren aus dem damaligen Jugoslawien kamen und meist gar nicht als Rom*nja wahrgenommen wurden; außerdem die Kriegsflüchtlinge aus Ex-Jugoslawien Anfang der 1990er Jahre und aus dem Kosovo ab 1999. In beiden Konflikten gerieten Rom*nja ebenso wie andere ethnische Minderheiten gewissermaßen in die Schusslinie der ultranationalen Kriegsparteien. Vertreibungen und Pogrome waren die Folge. Neben diesen Gruppen gibt es außerdem die rumänischen und bulgarischen Rom*nja, die seit der EU-Erweiterung 2007 Unionsbürger*innen sind und damit auch freizügigkeitsberechtigt. Die verschiedenen Gruppen unterscheiden sich stark, angefangen mit der Staatsbürgerschaft, die sich dann auf alle Lebensbereiche und auf den Zugang zu Ressourcen auswirkt. Gemeinsam ist den verschiedenen Gruppen die Erfahrung von Diskriminierung durch die Mehrheitsgesellschaft.