Glossar

Im Rahmen unseres Projektes Diversity in Media haben wir ein Glossar zum Thema Antiziganismus entwickelt. Für einen diskriminierungssensiblen Bericht ist es wichtig, Begriffe präzise zu verwenden und sich möglicher Chiffren bewusst zu sein. Oft bleibt Medienschaffenden dafür nicht genug Zeit. Das Glossar dient hier als Hilfestellung für die tägliche Redaktionsarbeit. Es wird regelmäßig aktualisiert und erweitert.

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A

Antiziganismus

Antiziganismus ist der spezifische Rassismus gegenüber Menschen, die ➝ Rom*nja oder ➝ Sinti*zze sind oder dafür gehalten werden. Der Begriff verweist auf jahrhundertealte Stereotype, strukturelle Ausgrenzung und Gewalt bis hin zum Genozid unter den Nationalsozialisten. Der Begriff wird mitunter kritisiert, weil er sprachlich auf die rassistische Fremdbezeichnung Bezug nimmt. Es gibt Organisationen und Aktivist*innen, die Begriffe wie Antiromaismus oder Gadje-Rassismus bevorzugen. Amaro Foro befürwortet den Begriff Antiziganismus, gerade weil er sprachlich das rassistische Zerrbild der Dominanzgesellschaft betont, das mit realen Rom*nja und ➝ Sinti*zze gar nichts zu tun hat. Außerdem ist der Begriff durch die langen Kämpfe vieler Selbstorganisationen inzwischen relativ etabliert und wird in vergleichbarer Form (z.B. antigypsyism) international verwendet.

B

Balkan

Balkan bezeichnet eigentlich eine geografisch nicht klar definierte Halbinsel in Südosteuropa. Im allgemeinen Sprachgebrauch umfasst diese Griechenland, Albanien, Bulgarien, ➝ Rumänien, Montenegro, Serbien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Kroatien und Slowenien. Der Begriff wird häufig als eine Chiffre für Rom*nja verwendet, weil in diesen Ländern der Bevölkerungsanteil der ➝ Rom*nja relativ hoch ist und weil gängige rassistische Klischees vom Balkan sich mit antiziganistischen Klischees überschneiden. Der Balkan wird aus nordwesteuropäischer Perspektive häufig als das schlechthin Andere imaginiert, als wild, chaotisch und fremd, als vermeintlich »außerhalb Europas« und als Gefahr für das (christliche) Abendland. Auch antislawischer Rassismus spielt dabei eine Rolle.

Bulgarien

Bulgarien ist wie ➝ Rumänien auch eines der EU-Mitgliedsländer auf dem ➝ Balkan, in dem es eine relativ große Roma-Community gibt. Bulgarien und Rumänien traten 2007 der EU bei und aufgrund der antiziganistischen Mediendebatte um diesen Beitritt wird auch »Bulgaren« bis heute als eine Chiffre für ➝ Rom*nja verstanden. Hier spielen auch das Klischee vom Balkan sowie antislawischer Rassismus eine Rolle.

H

Hederlezi

Hederlezi bzw. das St.-Georgs-Fest ist für viele ➝ Rom*nja aus osteuropäischen Staaten ein wichtiger Feiertag. Traditionell werden zu diesem Frühlingsfest Lämmer geschlachtet. Der Feiertag ist etwas Besonderes, weil er sowohl eine christliche als auch eine muslimische Tradition mit jeweils eigener Legende hat. Aufgrund seiner Bedeutung für die Roma-Communitys feiern auch Amaro Foro und andere ➝ Roma-Selbstorganisationen diesen Tag.

N

Nationalsozialistischer Genozid

Die Nationalsozialisten sahen gemäß ihrer Rassenideologie ➝ Sinti*zze und ➝ Rom*nja als minderwertig an und machten sie zum Objekt ihrer Rassenforschung. Es wurden umfangreiche Akten mit Fotos, Stammbäumen, Schädelvermessungen etc. angelegt, die Polizeibehörden auch nach 1945 noch nutzten. Sinti*zze und Rom*nja waren unter den Nationalsozialisten weitgehend von der Gesellschaft ausgeschlossen, durften bspw. keiner Lohnarbeit nachgehen oder in die Schule gehen. Sie wurden zwangssterilisiert und in Konzentrationslager deportiert. Zusätzlich zu ihrer Häftlingsnummer wurde ihnen der Buchstabe Z eintätowiert. Über 90 Prozent der europäischen Rom*nja wurden ermordet. Bis zu ihrer Ermordung bereicherten sich diverse deutsche Unternehmen an der von den Inhaftierten geleisteten Zwangsarbeit. In osteuropäischen Ländern gab es zum Teil nationale Regierungen, die mit den Nazis kooperierten und ihre Ziele teilten; in Staaten der Sowjetunion fand häufig der sogenannte Holocaust by bullets statt, also Massenerschießungen statt Ermordung in Konzentrationslagern. Insgesamt wurde mindestens eine halbe Million Sinti*zze und Rom*nja umgebracht. Dieser Genozid wurde erst 1982, nach jahrzehntelangen Kämpfen von Sinti*zze und Rom*nja, von der deutschen Bundesregierung anerkannt.

P

Porajmos

Porajmos bezeichnet den ➝ nationalsozialistischen Genozid an den ➝ Sinti*zze und ➝ Rom*nja. Analog zum Wort Shoah wurde ein eigener ➝ Romanes-Begriff für diesen Völkermord geprägt. Je nach Übersetzung bedeutet Porajmos »großes Verschlingen« oder »große Zerstörung«. Ein weiterer Romanes-Begriff für den Genozid ist Samudaripen, ein Neologismus, der »das große Töten« bedeutet. Nicht alle Sinti*zze und Rom*nja benutzen diesen Begriff, um den Völkermord zu beschreiben, da er je nach Dialekt unterschiedliche Konnotationen haben kann.

R

Rom*nja (Triggerwarnung)

Rom*nja ist die gegenderte Form von Roma (männlich: ein Rom, zwei Roma; weiblich: eine Romni, zwei Romnja). Dies ist die Selbstbezeichnung der größten europäischen Minderheit mit 10 bis 12 Millionen Menschen, deren Vorfahren vor über 1000 Jahren aus Indien einwanderten. Rom*nja leben in allen europäischen Ländern; es gibt viele Gruppen wie etwa ➝ Sinti*zze, Lovara, Manouche, Calé oder Kalderasch. Ihre ursprüngliche Sprache ist ➝ Romanes. Über Jahrhunderte wurde für Rom*nja die rassistische Fremdbezeichnung »Zigeuner« benutzt, die nie eine Selbstbezeichnung war und die von den allermeisten Rom*nja als zutiefst diffamierend abgelehnt wird. »Rom« kommt aus dem Romanes und bedeutet je nach Kontext Mann oder Mensch.

Romanes

Romanes ist die Sprache der ➝ Rom*nja; das entsprechende Adjektiv heißt romani. Sie ist mit dem Sanskrit verwandt und existiert inzwischen in vielen verschiedenen Dialekten mit Lehnwörtern aus anderen Sprachen. Umgekehrt haben auch Romanes-Worte Eingang in die Sprachen der europäischen Mehrheitsgesellschaften gefunden. Aufgrund von Zwangsassimilation und Verfolgung gibt es viele Rom*nja, in deren Familien kein Romanes mehr gesprochen wird. Die Sprache ist deshalb vom Aussterben bedroht. In Deutschland hat das Romanes den Status einer anerkannten Minderheitensprache. Der 5. November ist der Tag des Romanes und für viele Rom*nja ein wichtiges Datum.

Roma-Selbstorganisation

Roma-Selbstorganisation bezeichnet eine Organisation, in der sich ➝ Rom*nja zusammentun, um gemeinsam und selbstbestimmt gegen ➝ Antiziganismus zu kämpfen, ihre Rechte einzufordern und verschiedenste Formen von Communityarbeit umzusetzen. Es gibt Selbstorganisationen, die im strikten Wortsinn nur Angehörigen der Community offenstehen, und es gibt Organisationen von Rom*nja und Nicht-Rom*nja wie Amaro Foro. Organisationen wie der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma sind dagegen vor allem Organisationen deutscher Sinti*zze, die aus der Bürgerrechtsbewegung der deutschen Sinti*zze entstanden sind. Amaro Foro und andere Roma-Selbstorganisationen verstehen sich demgegenüber als Interessenvertretung vor allem aus Südosteuropa eingewanderter Rom*nja, unabhängig davon, wann diese Einwanderung stattgefunden hat.

Rumänien

Rumänien ist ein EU-Mitgliedstaat in Südosteuropa, in dem vermutlich etwa 10 Prozent der Bevölkerung ➝ Rom*nja sind. Aufgrund des ähnlichen Klangs werden in Deutschland die Begriffe immer wieder synonym verwendet und oft fungiert »Rumänen« als Chiffre für »Rom*nja«. In Rumänien waren Rom*nja bis ins 19. Jahrhundert versklavt, ohne dass das jemals offiziell anerkannt oder sie dafür entschädigt wurden. Das ist einer der Gründe, warum sie sich überdurchschnittlich oft in einer prekären Situation ohne Zugang zu Arbeit oder Gesundheitsversorgung befinden. Allerdings werden in der Regel nur Menschen als Rom*nja gelesen, die bestimmte soziale Merkmale erfüllen.

S

Sinti*zze

Sinti*zze ist die gegenderte Form von Sinti (männlich: ein Sinto, zwei Sinti; weiblich: eine Sintezza, zwei Sintizze). Dies ist die Selbstbezeichnung der ➝ Rom*nja, die seit über 600 Jahren im deutschsprachigen Raum ansässig sind.

W

Weltromatag

Am 8. April 1971 fand in London der erste Welt-Roma-Kongress statt. ➝ Rom*nja aus vielen verschiedenen Ländern beschlossen dort, sich länderübergreifend als eine Nation zu definieren, mit der Bezeichnung Roma (bzw. Rom*nja), der Sprache ➝ Romanes, der Hymne »Gelem, gelem« und der Roma-Flagge. Seitdem wird dieser Tag von Rom*nja auf der ganzen Welt gefeiert und ist auch in der Dominanzgesellschaft zunehmend bekannt.